Das Verschwinden der Weißen Haie Südafrikas
Lange Zeit war das kleine Fischerdorf Gansbaai, das etwa zwei Stunden von Kapstadt entfernt liegt, als „Welthauptstadt des Weißen Hais“ bekannt. Doch im Jahr 2017 kam es zum Umbruch.
Was bleibt, ist die Frage: Wohin sind Südafrikas Weiße Haie verschwunden? Mit einer durchschnittlichen Länge von 4,5 Metern ist der Weiße Haie der größte Raubfisch unseres Planeten.
Die Weißen Haie von Gansbaai
Seit Jahren reisten Scharen von Touristen aus allen Teilen der Welt nach Gansbaai, um an den von hier aus startenden Käfigtauchboot-Touren teilzunehmen. Die Fahrten führten die Teilnehmer etwa 15 Minuten auf das offene Meer hinaus in Gewässer, die bis vor Kurzem von dem wohl faszinierendsten Meeresraubtier der Welt bevölkert waren: dem Weißen Hai (Carcharodon carcharias).
Für lange Zeit wurde der häufigste Aufenthaltsort der Weißen Haie an der Küste von Gansbaai treffend „Shark Alley“ genannt. Dabei handelt es sich um einen schmalen Kanal zwischen zwei etwa 8,5 Kilometer vom Festland entfernten Felseninseln, Dyer Island und dem kleineren Geyser Rock.
Geyser Rock ist die Heimat der größten küstennahen Kolonie von Kap-Pelzrobben in Südafrika. Diese Art ist als eine der bevorzugten Nahrungsquellen der Weißen Haie bekannt. Wenn sich die Robbenjungen in den Frühlings- und Frühsommermonaten auf eigene Faust hinauswagen, sind sie leichte Beute für die Weißen Haie, die im Kanal patrouillieren.
Doch im Mai 2017 erschütterte ein noch nie dagewesenes Ereignis sowohl die Population der Weißen Haie in Gansbaai als auch den Status der Stadt als einer der Hotspots für Weiße Haie auf dem Planeten...
Raubtier oder Beute?
Was ist also passiert? Ein Orca-Paar wurde in der Bucht gesichtet und von der örtlichen Meeresgemeinde als „Port“ („Backbord“) und „Starboard“ („Steuerbord“) bezeichnet. Ihre Namen waren eine Anspielung auf ihre ungewöhnlich schlaffen Rückenflossen, die sich nach links bzw. rechts neigten. Orcas gelten als die einzigen natürlichen Fressfeinde des Weißen Hais. Laut bisherigen Beobachtungen kommt es jedoch nur selten dazu, dass sich die beiden Arten in freier Wildbahn gegenseitig jagen. Dies gilt vor allem dann, wenn andere Nahrungsquellen leicht verfügbar sind.
Die Anwesenheit von Orcas an der südafrikanischen Küste ist keine Seltenheit. Darüber hinaus beschreiben mehrere wissenschaftliche und noch mehr anekdotische Berichte, dass Weiße Haie und Orcas in den vergangenen Jahren in den örtlichen Gewässern friedlich interagiert haben.
Erschütternde Funde am Westkap
Der plötzliche Fund von fünf Weißhai-Kadavern an der Westkapküste, zwei davon mit sichtbaren Orca-Bissen, beunruhigte jedoch die örtlichen Naturschützer. Es war ein seltsamer und unerwarteter Rückschlag für die Hoffnung auf ein langfristiges Überleben der gefährdeten Population des Weißen Hais. Es stellte zudem die Rolle von Port und Starboard beim Aussterben dieser für die Gesundheit des Ozeans so wichtigen Raubtiere in Frage.
Nachdem der erste Kadaver im April 2017 an Land gespült wurde, verschwanden die Weißen Haie einen ganzen Monat lang aus der Bucht. Von vielen Fischarten ist bekannt, dass sie bei Bedrohung ein Pheromon aussenden, um andere ihrer Art auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. Ein ähnlicher Vorgang wurde bei Haien auf den Farallon-Inseln beobachtet. Daher war diese Reaktion plausibel, auch wenn es keine Studien gibt, die beweisen, dass Haie ein solches Pheromon produzieren. Nach etwa einem Monat tauchten einige Weiße Haie zögerlich wieder in der Bucht auf. Nach den anschließenden Orca-Raubzügen auf die Bestände des Weißen Hais verschwanden sie jedoch wieder für mehrere Monate.
Verschwinden der Weißen Haie
Vier Jahre später sind die Weißen Haie noch immer nicht in die Bucht zurückgekehrt, auch wenn in dieser Zeit sporadisch einige wenige Exemplare gesichtet wurden. Für den Meeresschutz wie auch für den lokalen Ökotourismus war dies ein schwerer Schlag. Die Orcas wurden zum Sündenbock und weithin für das Ausbleiben der Population des Weißen Hais in der Region verantwortlich gemacht. Doch Untersuchungen ergaben, dass hinter dem Verschwinden der Haie noch mehr steckt. Weiße Haie ernähren sich von anderen Haien, Seevögeln sowie Krusten- und Weichtieren, aber auch von Seelöwen, Robben und kleinen Zahnwalen.
Studie zu Südafrikas Weißen Haien
Statistiken, die von einem Forscherteam der Universität Stellenbosch in den letzten zehn Jahren gesammelt wurden, deuten darauf hin, dass die Population der Weißen Haie in diesem Gebiet schon lange vor der Ankunft von Port und Starboard stark bedroht war.
Im Jahr 2009 machten sich die Zoologie-Doktorandin Sara Andreotti und der Haischutzspezialist Mike Rutzen auf den Weg, um den Bestand der südafrikanischen Weißen Haie zu messen. Rutzen ist einer der wenigen Menschen auf der Welt, die mit Weißen Haien getaucht sind, und das regelmäßig in den letzten 20 Jahren. Er ist zudem in mehreren internationalen Dokumentarfilmen aufgetreten, in denen er sich für den Schutz der Weißen Haie starkmachte.
Sharksafe BarrierTM Technologie
Dr. Andreotti hat inzwischen ihren Doktortitel erworben. Derzeit arbeitet sie als Forscherin für die Abteilung für Botanik und Zoologie und die Conservation Genomics Group der Universität Stellenbosch. Beide Forscher gehören außerdem zu den Begründern der Sharksafe BarrierTM Technologie.
Dabei handelt es sich um ein innovatives, umweltfreundliches System, das Hai-Mensch-Konflikte abwenden und beide Arten sowie andere Meerestiere schützen soll. Die Barriere ist so gestaltet, dass sie das Aussehen eines dichten Seetangwaldes imitiert, den Weiße Haie grundsätzlich meiden.
Diese Biomimikry wird mit starken Magneten kombiniert, die nachweislich Weiße Haie abschrecken, indem sie ihren elektromagnetischen Sinn auf kurze Distanz überwältigen, auf den die Tiere extrem empfindlich reagieren. Außerdem können andere Meerestiere wie Schildkröten und Delfine die Barriere passieren, ohne verletzt oder getötet zu werden. Die Sharksafe BarrierTM hat sich in der Versuchsphase als perfekte Methode erwiesen, da in zwei Jahren kein einziger Hai das Sperrgebiet betrat. Derzeit wird die Technologie in Zusammenarbeit mit Partnern auf der Insel La Réunion in Übersee eingeführt.
Ermittlung des Haibestands
Rutzen war der Besitzer einer der Käfigtauchbetriebe in Gansbaai und hatte festgestellt, dass die Zahl der Weißen Haie im Laufe der Jahre abnahm. Sowohl er als auch Andreotti waren neugierig und zutiefst besorgt über den verbleibenden Bestand der beeindruckenden Meerestiere.
Sie entschlossen sich dazu, einen fünfjährigen Segeltörn anzutreten, der die gesamte südafrikanische Küste umfasst,, um den übrigen Bestand an Weißen Haien zu messen.